2024
Borgfelde gehört zu den kleineren und weniger bekannten Stadtteilen Hamburgs. Dabei hat er eine geschichtsträchtige Vergangenheit. Bereits Mitte des 13. Jahrhunderts erwarb der Hamburger Rat Borgfelde von den Schauenburger Grafen und gliederte es als Vorort in die Stadt ein. Mit zunehmender Urbanisierung ließen sich immer mehr Menschen in Borgfelde nieder. 1894 wurde Borgfelde offiziell ein Stadtteil Hamburgs. Bis in die 1930er-Jahren entwickelte sich Borgfelde zu einem dicht besiedelten Stadtteil, in dem Menschen unterschiedlicher sozialer, kultureller und religiöser Hintergründe lebten.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann eine Zeit der Ausgrenzung und Verfolgung für eben jene vielfältige Bevölkerung.Besonders Personen jüdischen Glaubens verloren in dieser Zeit systematisch ihre Rechte und Freiheiten: Viele wurden verfolgt, aus der Gesellschaft verdrängt, deportiert, vertrieben, in den Suizid getrieben und/oder ermordet. Auch andere Bevölkerungsgruppen wie politische Gegnerinnen und Gegner sowie Sintizze und Sinti, Romnja und Roma, homosexuelle Menschen oder Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Erkrankungen wurden Opfer der Ideologie der Nationalsozialisten.
Trotz der umfassenden Repressionen formierte sich in Hamburg eine bedeutende Widerstandsgruppe, die auch in Borgfelde wirkte. Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, benannt nach ihren führenden Mitgliedern, übte Widerstand gegen das NS-Regime. Sie organisierten u. a. Sabotageakte in kriegswichtigen Unternehmen und verbreiteten Flugblätter, die über das Regime aufklären sollten. Etwa 70 der 300 Mitglieder wurden von der NS-Justiz zum Tode verurteilt und hingerichtet, starben in Haft oder wurden ermordet.
In Borgfelde erinnern heute 53 der insgesamt 6.971 Hamburger Stolpersteine an die Schicksale dieser Menschen.
1
Ernst Mittelbach
Brekelbaums Park 10 · Hamburg Borgfelde
Ernst Mittelbach wurde am 31.12.1903 als Sohn von Carl Mittelbach und seiner Ehefrau Magda Boya in Hamburg geboren. Er studierte Ingenieurswesen und arbeitete ab 1934 zunächst als Konstrukteur in einem Eisenwerk. Im November 1935 stellte sich Mittelbach gegen eine geschlossene Teilnahme der Belegschaft an der nationalsozialistischen Gedenkfeier für die „Blutopfer“ des Hitler-Putsches 1923 und wurde daraufhin wegen „der Betriebsgemeinschaft schädigendem Verhalten“ fristlos entlassen. Ab 1936 war er an der Gewerbeschule für Flugtechnik am Brekelbaums Park 10 tätig. Zu dieser Zeit lernte er Heinz Prieß kennen. Beide verband die klare Ablehnung des nationalsozialistischen
Regimes. Prieß war Teil der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, der sich auch Mittelbach später anschloss. Seit 1938 als Gewerbeoberlehrer tätig, wurde auf Mittelbach mehrfach Druck ausgeübt, der
NSDAP beizutreten – was er stets verweigerte.
Am 20.10.1942 wurde Mittelbach an seinem Arbeitsplatz verhaftet und als Mitglied der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe wegen der „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Er verbrachte seine Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel und in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt. Am 26.06.1944 wurde Ernst Mittelbach zusammen mit neun weiteren Mitgliedern der Widerstandsgruppe hingerichtet.
Vor der Schule am Brekelbaums Park 10, in der Mittelbach lehrte, und vor seinem letzten Wohnort in der Wellingsbüttler Landstraße 186 wurden ihm zu Ehren Stolpersteine verlegt.
Die Widerstandsgruppe Bästlein-Jacob-Abshagen kämpfte zwischen 1940 und 1945 gegen das nationalsozialistische Regime. Sie gilt mit etwa 300 Mitgliedern in über 30 Hamburger Betrieben als die größte Widerstandsgruppe Hamburgs. Plan der Gruppe war es u. a., in Hamburger Großbetrieben Widerstandskämpfer in mehreren Kleingruppen zu organisieren. Diese sollten die Belegschaft über den Terror der Nationalsozialisten aufklären und die Arbeit sabotieren, um die Rüstungswirtschaft zu schwächen.
Text: Deniz (16), Johannes (15), Miron (15)
2
Dr. Ernst Wulff
Beim Gesundbrunnen 14 · Hamburg Borgfelde
Ernst Wulff wurde am 19.04.1872 in Hamburg geboren. Seine Eltern wandten sich bereits vor seiner Geburt vom Judentum ab. Wulff studierte Chemie, beendete sein Studium mit einer Promotion und arbeitete später als Textilchemiker. Nach dem Ersten Weltkrieg zog er vom Grindelviertel nach Borgfelde, wo er 25 Jahre lebte.
Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze im September 1935 wurde er ungeachtet seiner evangelischen Religionszugehörigkeit als „Volljude“ eingestuft, da mindestens drei seiner Großeltern jüdischen Glaubens waren. Weitere Gesetze forderten ihn zum Beantragen einer Kennkarte mit dem Buchstaben „J“ sowie zur Namensänderung in „Israel“ auf. Wulff verweigerte diese Maßnahmen. Als einer der Gesellschafter seines Arbeitgebers im Zuge der Reichspogromnacht in Sachsenhausen inhaftiert wurde, erkannte Wulff die Tragweite und Ausweglosigkeit der Situation und plante seinen Selbstmord. Ernst Wulff starb (höchstwahrscheinlich) in der Nacht vom 30.11.1938 auf den 01.12.1938 durch die Einnahme von Salzsäure und Zyankali.
Text: Chiara (15), Lea (15), Mahdis (15), Sophie (15)
3
Nils Nissen
Von-Graffen-Straße 10 · Hamburg Borgfelde
Nils Claus Nissen wurde am 08.06.1909 in Bergedorf geboren. Nach der Trennung seiner Eltern wuchs der damals Zwölfjährige bei seinen Großeltern auf. Er schloss die Volksschule ab und absolvierte später eine kaufmännische Lehre. Nissen arbeitete als Kontorist in einem Transportgeschäft und als Bücherrevisor. Im Jahr 1935 wurde er wegen Verstoßes gegen § 175, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, zu neun Monaten Haft verurteilt. Aufgrund wiederholter Verdächtigung wegen „widernatürlicher Unzucht“, d. h. einem Verstoß gegen § 175, wurde seine Haft um sieben Monate verlängert. Die Strafe verbüßte Nissen u. a. im Emslandlager VI Oberlangen. Nissen wurde innerhalb von sechs Jahren immer wieder in unterschiedlichen Konzentrationslagern inhaftiert.
Nach seiner Strafverbüßung musste er im Februar 1941 als „befristeter Vorbeugehäftling/175“ in das Konzentrationslager Sachsenhausen. In „Vorbeugehaft“ kamen Personen, die Straftaten mehrmals begingen. Am 14.11.1941 wurde Nils Nissen zum wiederholten Male im „Krankenbau“ in Sachsenhausen aufgenommen, wo er vier Tage später starb.
Text: Keila (15), Veronica (15), Wiktoria (15)
4
Katharina Loofmann
Klaus-Groth-Str. 104 · Hamburg Borgfelde
Katharina Loofmann (geb. Schönfeld) wurde am 24.04.1890 in Hamburg geboren. Mit 25 Jahren heiratete sie den Handlungsgehilfen Wilhelm Drews, mit dem sie ein Jahr später eine Tochter bekam. 1923 trennte sich das Paar. Drei Jahre später heiratete sie den ehemaligen Offizier Ernst Loofmann. 1933 musste ihre Tochter die Schule verlassen, da sie als sog. „Halbjüdin“ kein Abitur ablegen durfte. Ernst Loofmann verstarb 1939, welhalb die Familie den „Schutz“ der sog. „Mischehe“ verlor. Ihre Betriebsrente wurde in der Folge auf 40 Reichsmark gekürzt, wodurch sie gezwungen war, ihre Vierzimmerwohnung in der Klaus-Groth-Straße zu verlassen. Anfang Februar 1942 wurden ihr auch die Zuteilung von Lebensmittelkarten und weitere Unterstützungsleistungen verweigert.
1942 – zehn Jahre nach ihrer ersten Diagnose – erkrankte Loofmann erneut an Brustkrebs. Nach Abschluss der Behandlung war sie weiterhin auf Pflege angewiesen, weshalb sie Anfang Juni 1943 in einem Altenheim der jüdischen Gemeinde untergebracht wurde. Am 23.06.1943 wurde Katharina Loofmann nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 10.09.1943 infolge der Haftbedingungen starb.
Text: Alexander (15), Ali (15), Jolina (15)
5
Fritz Heinsen
Klaus-Groth-Str. 99 · Hamburg Borgfelde
Fritz Heinsen wurde am 01.11.1896 in Berlin geboren. Nach dem Tod seines Vaters zog seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Wiesbaden. Fritz absolvierte die Mittelschule und schloss eine kaufmännische Lehre ab. Er arbeitete als Speditions-Fachmann in Hamburg und Berlin. 1926 heiratete er Helene Jacobi, mit der er knapp ein Jahr später einen Sohn bekam. Aufgrund Helenes evangelischer Religionszugehörigkeit lebte das Paar gemäß der Einordnung in der Zeit des Nationalsozialismus in einer sog. „Mischehe“. Den „Schutz“ dieser „Mischehe“ verlor die Familie, als Helene 1937 bei der Geburt ihres zweiten Kindes starb. Im Zuge der „Arisierung“, also der Enteignung des Besitzes von Jüdinnen und Juden, musste Heinsen 1939 seine Arbeit aufgeben.
Am 27.02.1943 wurde er gemeinsam mit anderen in „Mischehen“ lebenden jüdischen Männern am Arbeitsplatz verhaftet, nach Fuhlsbüttel gebracht und zu Zwangsarbeit verurteilt („Aktion Schallert“).
Im April 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert. Knapp ein halbes Jahr später erhielt seine Familie die Information, dass Fritz Heinsen an einer Herzmuskelschwäche verstorben sei.
Text: Gabriel (15), Robert (15), Viktor (15)
6
Familie Kassel
Klaus-Groth-Str. 64 · Hamburg Borgfelde
Die Eheleute Heinrich und Emma Kassel lebten in Hamburg-Borgfelde und hatten sieben Kinder. Die Familie gehörte viele Jahre dem Synagogenverband der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an. Heinrich Kassel betrieb einen erfolgreichen Alteisengroßhandel. Die Söhne Walter und Reinhold stiegen ins väterliche Geschäft ein. Der dritte Sohn Ernst fiel im Ersten Weltkrieg. Die Töchter Anita und Rosa heirateten, die beiden jüngsten Kinder Elisabeth und Margarethe blieben ledig.
Elisabeth absolvierte eine Ausbildung zur Lehrerin. Margarethe lebte von dem Vermögen, das ihre Mutter ihr und ihrer Schwester Elisabeth nach ihrem Tod im Jahr 1932 hinterließ. Mittelpunkt der Familie blieb die Wohnung in der Klaus-Groth-Straße 64, in der Elisabeth, Margarethe und Walter wohnten. Im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938 wurden Walter und Reinhold verhaftet. Im Juli 1940 wurde Margarethe vom Oberfinanzpräsidenten das mütterliche Erbe entzogen. Elisabeth kam für ihre Schwester und sich auf, bis auch ihr Einkommen im Juli 1940 mit einer „Sicherungsanordnung“ belegt wurde. Von nun an verfügten die Schwestern monatlich lediglich über 350 Reichsmark. Um ihre Lebenshaltungskosten zu decken und staatliche Abgaben zu leisten, mussten sie auf ihr Erspartes zurückgreifen.
Am 27.10.1941 erhielt Elisabeth die Aufforderung zum Umzug in eine ihr zugewiesene Wohnung in einem sog. „Judenhaus“. Am 08.11.1941 wurde Walter nach Minsk deportiert. Hier verliert sich seine Spur. Elisabeth und Margarethe erhielten Anfang Juli 1942 eine erneute Aufforderung zum Umzug, wurden jedoch nur wenige Tage später nach Auschwitz deportiert. Dort verstarben sie.
Rosa wurde mit ihrem Mann im Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ihr Mann starb noch in Theresienstadt. Rosa wurde 1944 nach Auschwitz deportiert, wo sie ebenfalls starb. Ihr gemeinsamer Sohn Gerhard wurde am 06.03.1943 nach Auschwitz deportiert, wo sich auch seine Spur verliert.
Reinhold überlebte als einziges Familienmitglied die Verfolgung durch die Nationalsozialisten.
Text: Elena (15), Emilija (14), Valentin (15)
7
Paul Borkowski | Rudolfine und Siegismund Zweig
Klaus-Groth-Str. 60 · Hamburg Borgfelde
Paul Borkowski wurde am 07.06.1915 in Marienburg geboren. Er war Christ und übte den Beruf des Schuhmachers aus. 1935 kam er wegen des Verdachts auf Diebstahl in Untersuchungshaft, wurde jedoch nach einem Monat entlassen. 1937 wurde er wegen des Verstoßes gegen § 175, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern verbot, zu einer unbekannten Strafe verurteilt. Nach der Strafverbüßung arbeitete er auf einem Passagierdampfer in Hamburg. Ende 1938 wurde er wegen eines erneuten Verstoßes gegen § 175 in das Konzentrationslager Fuhlsbüttel eingewiesen. Im Januar folgte die Überstellung in Untersuchungshaft. Im April 1939 wurde er wegen „widernatürlicher Unzucht“, also Verstoßes gegen § 175, verurteilt. Nach einem Jahr und drei Monaten Haft wurde er im Juli 1940 entlassen, doch im Oktober gleichen Jahres als „befristeter Vorbeugehäftling/175“ in das Konzentrationslager Neuengamme überwiesen. Hier wurde Paul Borkowski im selben Monat „auf der Flucht“ durch einen Bauchschuss getötet.
Text: Keila (15), Veronica (15), Wiktoria (15)
Siegismund Zweig wurde am 23.04.1859 in Landsberg/Warthe geboren und heiratete die am 30.06.1864 in Glogau geborene Rudolfine (geb. Kreslawski). 1890 zogen sie nach Magdeburg, wo ihre erste Tochter Else zur Welt kam. Drei Jahre später wurde die zweite Tochter Felicia geboren. 1919 trat Siegismund der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg bei. Er fand eine Anstellung als Geschäftsführer beim Schuhwarenhändler Conrad Tack & Co. GmbH und zog mit seiner Familie ins bürgerliche Borgfelde.
In den Jahren 1920 und 1921 heirateten die Töchter des Paares und zogen aus dem Elternhaus aus. Zwischen 1921 und 1926 wurden Siegismund und Rudolfine Großeltern von vier Enkelkindern (Fritz, Gerda, Hans und Lotte).
1941 zog das Ehepaar in ein vom „Jüdische[n] Religionsverband“ verwaltetes sog. „Judenhaus“. Später wurden sie vom Verband in einem früheren Gemeindehaus untergebracht, das als Altenheim diente. Das Ehepaar wurde am 15.07.1942 im Alter von 76 und 82 Jahren nach Theresienstadt deportiert. Siegismund Zweig überlebte den ersten Monat nicht. Rudolfine Zweig wurde am 21.09.1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und vermutlich gleich nach ihrer Ankunft ermordet.
Text: Kymy (15), Matilda (15), Sarah (15)
8
Elsa Schmidt
Burggarten 7 · Hamburg Borgfelde
Elsa Schmidt wurde am 14.01.1911 in Lindenberg geboren. Über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Sie wohnte in Stade, Altona und Hamburg und brachte im Dezember 1935 ihre erste Tochter Else zur Welt. Schmidt arbeitete als Hausangestellte und wechselte oft ihren Wohnort. Sie wurde von den Nationalsozialsten als sog. „Zigeunermischling“ klassifiziert. Zwischen 1939 und 1941 bekam sie weitere Kinder, die (wie auch ihr erstes Kind) in Pflegefamilien aufwuchsen.
Am 10.03.1943 wurde Schmidt in das sog. „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert, wo ihre Kinder ab April 1944 inhaftiert waren. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Schmidt bereits im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Nach Auflösung des sog. „Zigeunerlagers“ wurden ihre Kinder ebenfalls nach Ravensbrück verlegt.
Schmidt wurde ins Außenlager Hasag Schlieben-Berga und später ins Außenlager Hasag Altenburg verlegt, das ab dem 01.09.1944 unter der Verwaltung des Konzentrationslagers Buchenwald stand. Hier verliert sich ihre Spur. Elsa Schmidts Todesdatum und -ort sind nicht bekannt.
Text: Joshua (15), Julian (15), Oscar (15)